24.06.2022

Exkursion nach Berlin

bergisch.circular goes Berlin – finally. Nach einer unwetterbedingten Verschiebung im Februar konnte das Projektteam Mitte April endlich eine Exkursion nach Berlin durchführen. Ziel: Best Practices der Circular Economy in Deutschlands Hauptstadt kennenlernen. Unter Leitung des Circular Berlin e.V. standen während des zweitägigen Trips ein Workshop sowie eine Circular City Tour auf dem Programm.

Neben einem spannenden Input von Circular Berlin zur Circular Economy wurden im Workshop Zukunftsutopien für zirkuläres Wirtschaften in unterschiedlichen Kontexten, wie dem öffentlichen Raum oder der Nutzung von Konsumgütern entwickelt. Ergänzend konnten während der Circular City Tour praktische Ansätze zur Umsetzung einer Circular Economy in Berlin gewonnen werden. Orientiert an den Schwerpunktthemen – zirkuläres Bauen, öffentliche Beschaffung, Abfallvermeidung – von bergisch.circular wurden verschiedene Standorte bzw. Unternehmen und Initiativen, die im Themenfeld der Circular Economy aktiv sind, besucht.

 

Bauen zirkulär denken

Erster Stop der Circular City Tour war der Impact Hub Berlin, welcher Interessierte befähigt, innovative Lösungen für Menschen und den Planeten zu schaffen. Vor Ort wird Coworking-Space angeboten sowie Veranstaltungen und Programme rund um soziale Innovation und Nachhaltigkeit organisiert.

Seit dem Frühjahr 2022 hat der Impact Hub seinen Sitz im CRCL-Haus. Die ehemalige Kindl-Brauerei gilt als Leuchtturmprojekt für zirkuläre Architektur und nachhaltiges Wirtschaften. Ziel des Projektes war ein Gebäude zu bauen, dass nach den Prinzipien der Circular Economy umgesetzt ist. Maßgeblich für die Planung des Umbaus verantwortlich war die TRNSFRM eG aus Berlin, die sich für das Gebäude drei Leitprinzipien setzte:

  • Wiederverwendung gebrauchter Materialien
  • rückbaufreundliches Design
  • positiven Fußabdruck durch Verwendung natürlicher Baustoffe

So wurde im CRCL-Haus u.a. die ursprüngliche Baustruktur und Fassade aus dem 19. Jahrhundert größtenteils erhalten. Für die Beschaffung weiterer Baumaterialien diente auch die Stadt Berlin als Materiallager. Auf anderen Abbruchbaustellen wurde nach geeigneten Bauteilen gesucht, die im CRCL-Haus zum erneuten Einsatz kamen. Auf diese Weise wurden Trennwände aus ehemaligen Außenfenstern hergestellt sowie Balkonumwehrungen aus alten Dachträgern. Die Projektverantwortlichen konnten so ein weiteres Prinzip des zirkulären Bauens aufzeigen: Bauteile auf ihre Funktion reduzieren, um diese entsprechend flexibel einzusetzen.

Darüber hinaus war es im Bauprozess wichtig so zu bauen, dass die eingesetzten Materialien nach ihrer Nutzungsdauer wiederverwendet werden können. Themen wie Modularität und rückbaubare Verbindungen mit Schrauben, Muttern und Bolzen kamen hier zum Einsatz. Durch den Verzicht auf geklebte Verbindungen, ist der sortenreine Rückbau und die Anpassung eines Gebäudes erheblich einfacher. Auch die Zugänglichkeit und Vereinfachung der Konstruktionen hat für den zirkulären Bau eine große Bedeutung. So wird für die Nutzungsphase des Gebäudes z.B. gewährleistet, das Bestandteile einfach repariert und ausgetauscht werden können. Wo  im CRCL-Haus keine bereits benutzten Materialien zum Einsatz kommen konnten, wurde auf die Verwendung natürlicher Baustoffe (recycel- und kompostierbar) geachtet. Die Dämmung besteht bspw. aus Holzplatten, selbstgemischtem Lehmputz und Holzfaserdämmplatten. Im Fensterbereich wurde auf Hanf und Lehm als Innendämmung zurückgegriffen, um Lücken im alten Mauerwerk abzudichten. Als Abdichtung für die Fenster wurden Kork Füllmasse eingesetzt.

Mehr Informationen zum Impact Hub Berlin oder TRNSFRM dem CRCL-Haus finden Sie auf den jeweiligen Websites.

Für den zweiten Stop der Tour ging es ins Erdgeschoss des CRCL-Hauses – in die Büroräume von Concular. Das Start-up fördert zirkuläres Bauen und unterstützen die Baubranche ressourceneffizient und CO2-neutral zu werden. Materialien und Produkte sollen so oft wie möglich wiederverwendet werden, anstatt neues Material zu beschaffen. Concular hat dafür u.a. eine Softwarelösung entwickelt, die Gebäude und Materialien digitalisiert. Über eine Plattform werde Baustoffe und Produkte aus Rückbauprojekten vermittelt, um Ressourcen und Emissionen einzusparen. Das Team war daher auch aktiv in die Transformation des CRCL-Hauses involviert und hat die zirkuläre Bauweise vor Ort mit wiederverwendeten Baumaterialien, wie Ziegelsteine, Fenster, Türen oder Bodenplatten unterstützt.

Das Start-up sensibilisiert insbesondere für einen Perspektivwechsel von Energie- zu Ressourceneffizienz. In den vergangenen Jahren lag der Fokus für Nachhaltigkeit bei Gebäuden vor allem auf der Betriebsseite und damit auf der Energieeffizienz Seite. Aber 50% der CO2-Emissionen von Gebäuden werden bereits im Bau ausgelöst. Für Concular ist klar: Durch Abriss und Neubau entsteht viel graue Energie. Vielmehr müssen Gebäude erhalten bleiben und Materialien in Kreislauf gebracht werden.

Besonders interessant für die städtischen Vertreter*innen der Exkursion war die Vision der „Concular Urban Re-Use Hubs“. Diese sollen zukünftig in ganz Deutschland gemeinsam mit Kommunen und Städten etabliert werden, um regionale Materialkreisläufe mit lokalen Partnern zu schaffen. Wie diese ausgestaltet werden sollen, sehen Sie im Video (ab Minute 3.00).

Weitere Infos zur Kooperation von Concular und TRNSFRM im Zuge des CRCL-Hauses gibt es hier.

 

Ein Marktplatz für Gebrauchtes

Vom Impact Hub in Neukölln ging es zum nächsten Stop, dem Haus der Materialisierung (HdM) in Berlin Mitte. Dies ist ein Zusammenschluss verschiedener Initiativen und Institutionen, die zu den Themen nachhaltiges Wirtschaften und klimagerechte Ressourcennutzung forschen und arbeiten. Das HdM ist Teil des Modellprojekts Haus der Statistik, welche seit 2018 von der Koop5 des Landes Berlins entwickelt wird. Die Koop5 setzt sich aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, dem Bezirksamt Mitte von Berlin, der Wohnungsbaugesellschaft Berlin Mitte mbH, der BIM Berliner Immobiliengesellschaft GmbH sowie der ZUsammenKUNFT Genossenschaft für Stadtentwicklung Berlin eG zusammen und ist somit vor allem kommunal getragen.

Im HdM werden Materialkreisläufe für Rest- und Gebraucht-Materialien, für Lebensmittel und Alltagsgegenstände, aber auch für Ideen und Visionen aufgebaut und verbreitet. Devise der Akteur*innen vor Ort: mit dem arbeiten was da ist. Vor allem verfolgt das HdM auch einen sozialen Ansatz. Alle Angebote, die im Haus gemacht werden stellen eine Leistung für die Stadtgesellschaft dar. Die Initiative ist von der Stadt für die Stadt.

Verschiedene Projekte wurden dem Team während der Tour durchs Haus vorgestellt:

Der Kunst-Stoffe e.V. bietet in Zusammenarbeit mit vielen Partner*innen einen umfangreichen Markt für Gebraucht-Materialien an. Ähnlich wie in einem Baumarkt stehen in Regalen Materialien aller Art zur Verfügung. Neben klassischen Baumaterialien wie Holzlatten, Schrauben und Plattenwerkstoffen, stehen der Berliner Bevölkerung hier auch Bastel- und Dekomaterialien, Textilien und Kurzwaren bereit, um einem neuen Zweck zugeführt zu werden.

Die Berliner Stadtmission nimmt einen großen Teil des HdM ein und hat bietet dort gespendete Textilien sowie Vintagemöbel aus Berliner Wohnungsauflösungen an. In der offenen Textilwerkstatt steht die Wieder- und Weiterverwendung gebrauchter Textilien im Vordergrund. Interessierte erhalten hier Unterstützung bei Reparatur-, Upcycling- oder Nähprojekten.

Der TEXTILHAFEN als Teilprojekt der Stadtmission ist ebenfalls vertreten. Wöchentlich werden diesem durchschnittlich 11 Tonnen Kleidung gespendet, welche hauptsächlich an die Kleiderkammer geht. Als nachhaltiges Integrationsunternehmen versucht die Stadtmission aber auch der übriggebliebenen (nicht für die Kleiderkammer geeigneten) Bekleidung ein zweites Leben zu schenken. Ein Projekt zur sinnvollen Weiterverwendung ist der Materialpool im TEXTILHAFEN. Unterschiedlichste Materialien (Jeans, Cord, Leder, Kashmir etc.), die aufgrund hoher Materialqualität für textiles Upcycling geeignet sind, werden dort zu günstigen Kilopreisen verkauft.

Die Material Mafia schafft Kreisläufe für die Weiterverwendung industrieller Reststoffe. Das Team sammelt und erhalten regelmäßig Reststoffe und Nebenprodukte aus Industrie und Handwerk, von Museen, Galerien und Messen. Diese Materialien werden im Lager im HdM allen Interessierten angeboten. Rohstoffe wie Holz, Metalle, Glas, Schaum- und Kunststoffe, Papier und Kartonage, Farben, Textil Stoffe und vieles mehr kann hier erworben werden.

Die Material Mafia will damit vor allem aufzeigen, dass Material noch einen Wert hat.

Weitere Informationen zu allen Projekten im Haus der Materialisierung sowie zur Entstehungsgeschichte und die kommunalen Projektpartner*innen finden Sie hier.

 

Produkte im Kreislauf halten

Seinen Abschluss fand die Circular City Tour in der NochMall, Berlins erstem Kaufhaus für Gebrauchtwaren.

Entstanden ist die NochMall durch die Initiative der Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR). Die Förderung von Wiederverwendung als wichtige Maßnahme zur Abfallvermeidung ist in der Unternehmensstrategie der BSR fest verankert. Um dieses Ziel in der Praxis umzusetzen, wurde 2018 ein erster Pilotversuch durchgeführt, um das vorhandene Potenzial in Berlin zu bestätigen. In einem Zeitraum von 5 Wochen wurden Materialien an einem Recyclinghof angenommen und u.a. über Sozialkaufhäuser vermarktet. Nach der erfolgreichen Pilotierung wurde im Sommer 2020 das Gebrauchtwarenkaufhaus NochMall eröffnet. Die Ziele der NochMall sind vor allem:

  • Ressourcenschonung durch Verlängerung des Lebenszyklus von Produkten, indem jährlich bis zu 17.000 m³ Sperrmüll und andere Stoffströme der Wiederverwendung zugeführt werden.
  • Angebot eines breit gefächerten Warenangebotes zu günstigen Preisen, die auch Menschen mit geringerem Einkommen den Einkauf erlauben.
  • Kooperation mit Einrichtungen aus der Berliner Re-Use- und Abfallvermeidungsszene

Heute unterstützt das Projekt damit maßgebliche die Zielsetzung des neuen Abfallwirtschaftskonzepts des Landes Berlin.

Die NochMall will aber mehr als ein reines Gebrauchtwarenkaufhaus sein. Neben dem Verkauf von Möbeln, Kleidung, Elektrogeräten, Haushaltswaren, Spielzeug, Büchern etc. auf über 2.000 Quadratmetern, ist sie ein Erlebnisort für Kreislaufwirtschaft und Abfallvermeidung. Dafür wird u.a. ein breites Angebot an Formaten mit Voreiter*innen aus der Re-Use- und Umweltszene, Repaircafés sowie Upcycling-Workshops angeboten. Zusätzlich werden Initiativen und Unternehmen unterstützt, indem diesen z.B. Flächen für Pop-up-Stores für nachhaltige Produkte zur Verfügung gestellt werden. Die NochMall wird so auch zu einem Lernort für Veränderung und Bewusstsein.

    

 

Ein Ausflug in die Zukunft

Futurium

Zum Abschluss der Exkursion stand ein Besuch des Futurium in Berlin an. In dem Museum konnten spannende Eindrücke über die zukünftige Entwicklung des Lebens gewonnen werden. Es wurde offensichtlich das auch die Circular Economy hierbei eine größere Rolle einnehmen wird.

 

Quellen: Concular GmbH, FixFirst UG, Haus der Materialisierung, Haus der Statistik, Impact Hub Berlin GmbH, NochMall GmbH, TRNSFRM eG, Verein für Berliner Stadtmission